Alexander Dugin, ein russischer Ideologe Eurasiens (2024)

Wer ist der Ideologe, dessen Tochter von einer Autobombe getötet wurde, die vielleicht ihm galt? Und was bedeutet seine Theorie des Eurasismus für den Krieg in der Ukraine?

Andreas Ernst

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Ein grausiges Bild ging kurz nach dem Mordanschlag auf die Kreml-Propagandistin Daria Dugina durch die sozialen Netzwerke. Es zeigt den Vater vor dem brennenden Auto der Tochter, der entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Wer ist Alexander Dugin, der angebliche Ideengeber Putins, den westliche Medien auch den Einflüsterer oder Rasputin des Kremlherrschers nennen?

Russlandkenner warnen davor, das intellektuelle Licht, aber auch den politischen Einfluss des 60-Jährigen zu überzeichnen. Direkten Zugang zu Putin habe er nicht, und seine Ideen des «eurasischen Imperialismus» seien eigentlich vulgäre Versatzstücke des Denkens von Philosophen wie Iwan Iljin, Nikolai Berdjajew oder auch Alexander Solschenizyn.

Der Politologe Wladimir Pastuchow bezeichnet Dugins Ideen als ein Gebräu aus Kommunismus, mystifizierter Orthodoxie, Nationalismus und Imperialismus. Es sind Ideen, die lange an den Rändern der Gesellschaft vor sich hin dämmerten, bevor sie in den letzten Jahren ein Teil des russischen Mainstreams wurden.

Nationalismus nach innen, Imperialismus nach aussen

Die Ideologie hat zwei Stossrichtungen. Die eine richtet sich nach innen und postuliert den Vorrang des Kollektivs vor dem Individuum. Die andere wirkt nach aussen und behauptet die Überlegenheit der eigenen Nation über die andern Nationen – insbesondere über jene in der Nachbarschaft. Daraus resultieren ein autoritärer Nationalismus und ein aggressiver Imperialismus.

Insbesondere die Ukraine erscheint als eine künstliche Nation in einem künstlichen Staat, der nur dank der westlichen Nabelschnur am Leben erhalten wird. Das Land ist im Grunde ein Agent des amerikanischen Machtanspruchs. Das verweist auf die fundamentale Auseinandersetzung unserer Zeit: den Kampf Russlands, des (potenziellen) Dominators der eurasischen Landmasse, mit der atlantischen Seemacht USA. China und der Pazifik spielen in diesem Weltbild nur eine marginale Rolle.

Dugins Zuversicht speist sich aus der angeblichen Dekadenz des Westens. Sie ist ablesbar an den Migrationsströmen, die diese Länder überfluten, und am Niedergang der Familie, die von Gender-Ideologie und hom*o-Ehe untergraben wird. Hier gibt es denn auch grosse weltanschauliche Überlappungen mit einem Teil der europäischen und der amerikanischen Rechten. Dugin pflegt zeitweise gute Kontakte zu diesen Kreisen.

Aus gutem Grund: Denn, so Dugin, die russische Soft Power könne an Rezepte aus der Sowjetzeit anknüpfen. So wie es Moskau damals gelungen sei, in Europa Parteien und Parlamente zu beeinflussen, so könne es auch heute ausgewählte Partner im Westen alimentieren und fördern. Es ist ein Geschäftsmodell, das in manchen Ländern offensichtlich erfolgreich ist.

Der Himmel der russischen Geschichte

Dugin wurde 1962 in Moskau in eine Offiziersfamilie geboren. Aus der ursprünglich anvisierten Militärkarriere wurde nichts. In den 1980er Jahren bewegte sich der mittelmässige Student in Kreisen rechtsradikaler Dissidenten und Antikommunisten. Der KGB hatte immer wieder ein Auge auf ihn. Später trat er in Austausch mit französischen Rechtsintellektuellen, die ihn drängten, seinen eigenen «russischen Weg» zu gehen.

Das tat Dugin, doch im Chaos der 1990er Jahre fanden seine Ideen wenig Resonanz. 1993 beteiligte er sich an der Gründung einer nationalbolschewistischen Partei, trat aber fünf Jahre später aus. Auch akademisch ging es nicht voran, er unterrichtete ausschliesslich an obskuren Hochschulen.

Erst 2010, in einem stark veränderten gesellschaftlichen Klima, erhielt er an der prestigereichen Lomonossow-Universität einen Lehrstuhl für Soziologie. Doch schon 2014 war damit Schluss. Unter seinen Kollegen war er isoliert geblieben, und im Jahr der Krim-Annexion hatte er in einem Interview gesagt, als Professor empfehle er, die ukrainische Führung zu töten. Eine Petition forderte darauf seine Entlassung.

Die Invasion der Ukraine, so sagte Dugin im Frühling, habe sein inneres Exil beendet. Allerdings kritisiert er Putins Strategie, die «Spezialoperation» möglichst abseits der russischen Öffentlichkeit durchzuführen. Im Gegenteil müsse jetzt die ganze Nation total mobilisiert werden. Die Zeit für sanfte Lösungen sei vorbei.

Auf die Frage, ob Putin seine Schriften zur Kenntnis nehme, antwortete er: «Wir lesen die gleichen Buchstaben, die golden am Himmel der russischen Geschichte stehen.»

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Andreas Ernst

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Markus Ackeret, Moskau

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